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Dienstag, 16. November 1999

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1999 | 1998 | 1997
 

Netzgeflüster

Kunst kommt von Klicken

Das Web als Medium für spielerische Kreativität

Es gibt Webseiten, die sind so schlecht, dass man sie am liebsten durch den Shredder lassen oder auf den Misthaufen werfen möchte. Dank Mark Napier kann man genau das tun - es funktioniert auch mit guten Webseiten - und dabei erst noch Kunst produzieren. Zumindest findet das Napier, ein New Yorker Netz-Künstler, der den Shredder und den Misthaufen programmiert hat.

Der «Shredder»1 erscheint auf dem Bildschirm in Gestalt eines Browsers, er parodiert offensichtlich den Netscape Navigator und den Microsoft Explorer. Wenn man ihm eine Web-Adresse eingibt, lädt er die Seite auch, aber gleichzeitig zerhackt er sie so, dass nur noch Fetzen und Fragmente davon zu erkennen sind. Das ist, zugegeben, reizvoll, will aber mehr sein. «Der Browser», erläutert Napier sein Werk, «interpretiert HTML-Instruktionen, er ist ein Wahrnehmungsorgan, mit dem wir das Web ‹sehen›. Er filtert und organisiert eine gewaltige Masse von strukturierter Information. Der ‹Shredder› präsentiert diese globale Struktur als chaotische, irrationale Collage. Der ‹Shredder› verändert den HTML- Code, bevor er ihn liest, und verwandelt so die Daten. Inhalt wird Abstraktion. Text wird Graphik. Information wird Kunst.»

Der «Shredder» produziert Netz-Kunst pur, aber inspiriert wurde Napier von einem Offline- Vorbild. Er bewundere die organische Qualität, die Jackson Pollock seinem Material verliehen habe, erklärte Napier der «New York Times», und was sein Shredder mit den Bildern und Texten mache, wirke auf ihn auch wie etwas Organisches. Visuell weniger überzeugend, aber diesem Ideal noch näher ist Napiers Misthaufen, der englisch etwas vornehmer «Digital Landfill»2 heisst. Dort kann man Webseiten wegwerfen und zusehen, wie sich der Abfall wirr überlagert und schliesslich zersetzt.

Zusammen mit seinem Netz-Künstlerkollegen Andy Deck hat Napier eine neue Arbeit entwickelt, die kürzlich vom lesenswerten deutschen Online-Magazin «Telepolis»3 vorgestellt wurde. «Graphic Jam»4 ist ein Zeichen- und Malprogramm, mit dem mehrere User gleichzeitig zeichnen und malen können - ohne sich zu kennen und ohne sich einander mitteilen zu können ausser mit dem, was sie auf der virtuellen Leinwand hinterlassen. «Graphic Jam» ist unter anderem eine Attacke auf die Vorstellung vom Künstler als souveränem Schöpfer in genialischer Einsamkeit. Im sozialen Aspekt der visuellen Kreativität sehen die Schöpfer der interaktiven Malmaschine eine ihrer interessantesten Funktionen: Nur indem jeder am Gemeinschaftswerk Beteiligte die Zeichen der anderen interpretiert, kann überhaupt das entstehen, was die Künstler als «Mischung zwischen Graffiti und Jazz» bezeichnen.

Für solch spielerisch neue Formen der Kunstproduktion ist das Web das ideale Medium. Zur Vielfalt der Online-Kunst gehören nicht nur Video, Graphik, Text, Photographie und Ton; in ihr vermischen sich auch Ästhetik, Technik, Produktion und Distribution auf einzigartige Weise. Und dafür, dass man das Genre nicht ernst zu nehmen brauchte, gibt es zu viele herausragende Beispiele für Netz-Kunst. Die wohl meistgerühmte, «äda' web», leistete von 1995 bis 1998 Pionierarbeit und wurde nach ihrer Einstellung vom Walker Art Center5 in Minneapolis aufgekauft. Das im Bereich der digitalen Kunst besonders fortschrittliche Museum hat die komplette «äda' web»-Site übernommen und in seiner Online-Galerie zugänglich gemacht.

Das Hauptproblem der Netz-Kunst wird bis auf weiteres bleiben, dass sie sich in einem Ghetto abspielt. Im Unterschied zu digitaler Kunst, die ausgedruckt und an die Wand gehängt werden kann, verlässt sie das Gehäuse des Computers nicht. Stellt man einen Computer mit Internetzugang in einer Galerie auf - so hört man klagen  -, fangen die Besucher an zu surfen oder ihre E-Mail abzurufen, statt sich durch das Kunstwerk zu klicken, das sie sich anschauen sollten. - Nächste Woche gehen wir auf Schnäppchenjagd.

d.weber@nzz.ch

1 http://www.potatoland.org/shredder
2 http://www.potatoland.org/landfill
3 http://www.heise.de/tp
4 http://artcontext.com/jam/
5 http://www.walkerart.org/

Neue Zürcher Zeitung, 23. April 1999

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